Unam uni generi humano linguam!
J. M. Schleyer
Mit dieser sechsten, von mir bearbeiteten
Auflage, erscheint wieder ein vollständiges Wörterbuch der Weltsprache.
Nach der letzten großen vierten Auflage des
Wörterbuches im Jahre 1888 hatte Johann Martin Schleyer, der geistvolle
Schöpfer des Volapük, schon versucht, dieses Werk neu zu bearbeiten. Im Jahre
1897 erschien das erste Heft dieser fünften Bearbeitung unter dem Titel:
„Grosses Wörterbuch der Universalsprache Volapük“. Dieses Werk war aber so
großzügig angelegt – das erste Heft enthielt mit 224 Seiten (bis auf eine
Seite) nur die Wörter, die mit dem Buchstaben A anfingen –, daß Schleyer selbst
sehr gut vorhersehen konnte, daß er es in dieser Weise mit seinen beschränkten
Geldmitteln nicht würde vollenden können. Es ist denn auch bei diesem einen
Hefte geblieben.
Im nächsten Jahre (1898) fing Schleyer eine
kleinere Bearbeitung des Wörterbuches an, welche er als die elfte Auflage
seines „Mittleren Wörterbuchs der Universalsprache Volapük“ betrachtet haben
wollte. Aber auch dieses Werk, obgleich kleiner an Umfang als die obenerwähnte
fünfte Bearbeitung des großen Wörterbuches, enthielt soviel mehr Wörter als die
vierte Auflage, daß man auch dieses ruhig als eine „sehr vermehrte fünfte
Auflage“ des großen Wörterbuches hätte betrachten können.
In regelmäßigen Zwischenräumen, jedoch wegen
der beschränkten Geldmittel allzu langsam, erschienen innerhalb von zehn Jahren
66 Bogen dieses Wörterbuches. Mit dem letzten am ersten Oktober 1905 erschienen
Bogen war Seite 1056 erreicht. Es waren die Wörter des Bandes: Deutsch –
Volapük bis zum Worte „Steuermannsmat“ abgedruckt worden. Von dem Bande Volapük
– Deutsch war noch nichts erschienen. Mangel an Interesse seitens der Welt,
geringe Geldmittel und hohes Alter haben Schleyer veranlaßt, mit der weiteren
Herausgabe des Wörterbuches aufzuhören.
„Aber was mag denn wohl der Grund sein, daß
dieses Interesse allmählich geringer geworden ist?“ wird man fragen, „und
weshalb werden jetzt wieder Werke über Volapük herausgegeben, wenn doch kein
Interesse mehr für diese Weltsprache vorhanden ist?“
Auf diese beiden Fragen möchte ich folgendes
antworten: Schleyer war an sich, sowohl wegen seines scharfen Verstandes, als
auch wegen seiner großen Sprachkenntnisse, der geeignete Mann, für den
zwischenvölkischen Verkehr eine künstliche Sprache zu schaffen, die für alle
Stämme der Erde brauchbar sein konnte. Da aber kein einziges Menschenwerk bei
seinem Entstehen vollkommen erscheint, war es zu erwarten, daß auch Schleyers
Schöpfung einiger Verbesserungen bedurfte, bevor sie diese Eigenschaft mit
Recht beanspruchen mochte. Die ersten Abänderungen wurden auf dem zweiten, vom
6. – 9. August 1887 in München abgehaltenen Weltsprachenkongresse beantragt und
genehmigt. diese Abänderungen waren tatsächlich Verbesserungen.
Unglücklicherweise war hiermit der Möglichkeit der Weg gebahnt, noch mehr
Änderungen vorzunehmen. Fast aus jedem Lande kamen nun Verbesserungsvorschläge,
und jedes Volk wünschte, daß Volapük seinem besonderen Sprachbedürfnisse gemäß
geändert werde. Schleyer wies alle diese Vorschläge zurück und nahm allein
Abänderungen und Ergänzungen vor, die er für nötig und nützlich hielt. Jetzt
erwiesen sich diese Abänderungen aber nicht immer als Verbesserungen: denn
Volapük war nun, sowohl wegen der neu gebildeten, oft schwer zu behaltenden
Wörter, als auch wegen der starken Abkürzungen bei der Bildung von
zusammengesetzten Wörtern und wegen mancher überflüssiger Endungen, statt
einfach und leichter, erheblich schwerer geworden. Bei der Anwendung dieser
Grundsätze war die Folgerichtigkeit manchmal schwer zu erkennen. Dieser Umstand
bewirkte, daß viele sich vom Volapük abwandten.
Mit diesem Sachverhalte konnten sich die
treuen Anhänger und Bewunderer des Volapük, zu denen ich auch mich selbst
rechne, nicht zufrieden geben. Nachdem ich den Militärdienst verlassen hatte
(ich war Militärarzt im niederländisch-ostindischen Heere) verfügte ich über
mehr freie Zeit und stellte mir nun die Aufgabe, das Volapük (sowohl die
Grammatik wie auch den Wortschatz) einer gründlichen Durcharbeitung zu
unterziehen, die nötigen Verbesserungen anzubringen und alsdann zu versuchen,
der Volapükbewegung wieder neues Leben einzuhauchen. Im April 1921 teilte ich
dem von Schleyer zu seinem Nachfolger ernannten Cifal, Prof. Dr. Albert
Sleumer, als ich ihn in seiner Wohnung besuchte, meine obenerwähnte Absicht
mit, der er, wie zu erwarten war, gern beipflichtete.
Die Erwägungen, die uns veranlaßten, zu
versuchen, das Volapük, das augenblicklich gleichsam hinsiechte, wieder zu
neuem Leben zu erwecken, waren folgende:
1.
Volapük ist in seinem Bau so einfach und als Ganzes so vorzüglich, daß
kein anderes Sprachgebilde es übertreffen, höchstens ihm gleichkommen könnte.
2.
Die Erfahrung hat gelehrt, daß Volapük für den zwischenvölkischen Verkehr vollkommen brauchbar ist. In einer
1927 herausgegebenen Broschüre über „Interlingua“ (eines der vielen
Wettbewerber des Volapük) steht z.B. folgende Mitteilung: „Im Jahre 1889
bestanden in Europa, Asien, Afrika, Amerika und Australien 283
Volapükgesellschaften. Es gab mehr als 1600 geprüfte Volapüklehrer, 316
Volapükleitfäden und 25 Zeitschriften in Volapük.“
3. Es muß von größter Wichtigkeit für die Einführung eines allgemeinen
zwischenvölkischen Hilfsmittels sein, daß man sich nur an ein einziges
bewährtes System hält. Zu diesem Zwecke kann nach unserer Überzeugung keine
andere Kunstsprache in Betracht kommen als eben Volapük. Ist doch das Volapük
nach jahrhundertelangen, vergeblichen Versuchen die erste künstliche Sprache, die sich für den
zwischenstaatlichen Verkehr als wirklich brauchbar erwiesen hat und die völlig
neutral den Natursprachen gegenüber steht.
4.
Der augenblickliche Mangel an Interesse für das Volapük soll uns nicht
hindern, die Aufmerksamkeit wieder darauf zu lenken. Ist es doch öfters in der
Geschichte der Wissenschaften vorgekommen, daß ein wissenschaftlicher Fund,
nach Jahren der Vergessenheit, gleichsam aufs neue entdeckt werden mußte, um
endlich die Anerkennung zu finden, die ihm gebührte.
In neun Jahren habe ich die Aufgabe zu Ende geführt. Ich bin mir völlig bewußt, daß das Wörterbuch nicht vollständig ist. Die erwünschte Vollständigkeit ist von einem Menschen nicht zu erreichen, selbst wenn er noch weitere zehn Jahre an diesem Wörterbuch arbeiten würde. Er bedürfte dazu mehrerer Mitarbeiter. Aber solange die Grundsätze, worauf die Grammatik und die Wortbildung notwendig beruhen müßten, noch nicht endgültig festgesetzt worden waren, konnte von Mitarbeitern überhaupt nicht die Rede sein. Erst wenn eine vollständige Grammatik und ein brauchbares Wörterbuch erschienen, durfte man erwarten, daß auch andere imstande und bereit sein würden, ihre Mitarbeit anzubieten. Jetzt, da dieses Wörterbuch und eine vollständige Grammatik der Weltsprache tatsächlich vorliegen, wage ich es, um die Mitarbeit von allen gelehrten wie nichtgelehrten Interessenten dringend zu bitten. Ihre etwaigen Vorschläge werden von der Volapük-Akademie, deren Haupt der Cifal ist, genau geprüft werden.
Im April 1929 habe ich Prof. Dr. Sleumer in Bad
Godesberg am Rhein besucht, um ihm meine Arbeit zu unterbreiten, und im
September desselben Jahres sind wir beide nach Wienacht (in der Schweiz)
gefahren, um zusammen mit Herrn J. Sprenger, der das literarische
Eigentumsrecht der vielen Schleyerschen Werke besitzt, die verschiedenen
wichtigen Fragen betreffs des Volapük zu erörtern.
Bei dieser Zusammenkunft haben wir die
Grammatik endgültig so festgesetzt, wie sie jetzt in meinem Werke: „Gramat
Volapüka“ vorliegt, aus dem hier unten ein Auszug gegeben wird.
Obwohl es vielleicht überflüssig erscheint, will ich hier doch eigens erwähnen, daß der Cifal Prof. Dr. Albert Sleumer und Herr Jakob Sprenger der Herausgabe dieses Wörterbuches ihren vollen Beifall zollen. Mit einer holländischen Bearbeitung dieses Werkes bin ich beschäftigt, und Bearbeitungen in anderen Sprachen werden vorbereitet werden.
Schließlich will ich hier die Hoffnung aussprechen, daß Volapük sich viele neue Freunde erwerben möge, und daß diese bei dem Studium der geistreichen Schleyerschen Erfindung denselben Genuß empfinden mögen, den ich sowohl bei der Bearbeitung des Wörterbuches wie auch bei der Herausgabe der Grammatik empfunden habe.
Dr. ARIE DE JONG,
Mitglied der Volapük-Akademie
Voorburg, 31. März 1930
Broekslootkade 5
Vorwort aus dem "Vödabuk Volapüka pro Deutänapükans" von Arie de Jong, 1931